Verschlucken (mediznischer Ausdruck: Ingestion)

Es entspricht der kleinkindlichen Natur die Umwelt auch mit dem Mund (orale Phase) zu erforschen. Alles was in die Reichweite der Kinder gelangt, „landet“ früher oder später im oberen Verdauungstrakt. Wobei die meisten der verschluckten Fremdkörper harmlos sind und problemlos nach unterschiedlich langer Transitzeit auf natürliche Weise wieder ausgeschieden werden. Auch spitze Gegenstände können den Darmtrakt durchwandern ohne eine Verletzung zu verursachen. Mehr als die Hälfte dieser Fremdkörper werden nie mehr gefunden, d.h. sie werden im Stuhl unbemerkt ausgeschieden. Das Sieben des Stuhles kann hier Abhilfe schaffen. Wiederholte und zeitlich abgestimmte Röntgenbilder werden zur Lokalisation des verschluckten Fremdkörpers angefertigt. Das nahezu tägliche Wiederholen ist übertrieben und stellt eine unnötige Strahlenbelastung dar. Sobald der Fremdkörper die Speiseröhre verlassen hat passiert er in der Regel den Magen – Darmtrakt problemlos. Hier gilt es zu beobachten, ob der Fremdkörper über längere Zeit an einer Stelle liegen bleibt.

Anders verhält es sich bei Fremdkörpern die in der Speiseröhre stecken bleiben. Sie verursachen für gewöhnlich Beschwerden, wie vermehrten Speichelfluss, Würgereiz, Erbrechen und Atemnot. Durch den Fremdkörper per se oder durch nachfolgende Aspirationen besteht für das Kind Erstickungsgefahr, bei spitzen Fremdkörpern auch Perforationsgefahr. Stumpfe steckengebliebene Fremdkörper (große Münzen) können zu „Druckschäden“ in der Speiseröhre führen. Aus diesem Grund wird an unserer Abteilung die rasche endoskopische Fremdkörperextraktion (Spiegelung) angestrebt. Der Altersgipfel für Ingestionen liegt im zweiten und dritten Lebensjahr, 76 % unserer Patienten sind jünger als 6 Jahre.

Verschlucken - Ingestion 01


Die bei weitem häufigsten „steckenden Fremdkörper“ in der Speiseröhre sind Münzen. Weitere häufig anzutreffende Fremdkörper sind Ringe, Spielzeugteile, schlecht gekaute Nahrung und Knochen. Weiche Einschlüsse, wie zum Beispiel Saugerteile oder konzentrisch liegende Ringe können oft lange Zeit unbemerkt in der Speiseröhre verbleiben (!). Mit Ausnahme von Patienten mit Speiseröhrenenge, geistiger Behinderung und Gefangenen sind jenseits des 14. Lebensjahres hauptsächlich steckende Fischgräten und Knochen die Interventionsursache.

Ein spezielles Problem stellen Ingestionen von Knopfbatterien dar. Im feuchten Milieu des Verdauungstraktes kommt es zur Entladung der Batterien mit Schädigung des anliegenden Gewebes. Weiters können die Batterien im sauren Magensaft selbst arrodiert (undicht) werden, was zur Freisetzung von Quecksilber und den anderen extrem alkalischen Bestandteilen führt. Abgesehen von der Ätzwirkung der Lauge, beinhalten manche Knopfbatterien mehr als 5g Quecksilberoxid – das ist mehr als die geschätzte tödliche Dosis für Erwachsene. Zum Glück wird die Batterie vor der Arrosion großteils entladen, wobei das Quecksilberoxid in das nahezu ungiftige und schlecht resorbierbare elementare Quecksilber umgewandelt wird. Um schwere Komplikationen zu vermeiden, werden an unserer Abteilung sämtliche Knopfbatterien mit Magnetsonden aus dem Magen entfernt.

Ein ähnliches Problem stellen bleihältige Fremdkörper dar. Hier führt das saure Magenmilieu zur Freisetzung von Bleiionen, die der Körper resorbiert, gefolgt von der typischen Vergiftungssymptomatik, wie Bauchschmerzen, Durchfällen und Erbrechen. Unter Säureblockade (Protonenpumpenhemmer) muss auch hier der Fremdkörper rasch aus dem Magen eliminiert werden.

Noch immer weit unterschätzt werden die Gefahren, die von schlecht verwahrten Medikamenten und Putzmitteln ausgehen. Die österreichische Vergiftungsinformationszentrale wird jährlich ca. 20.000 mal wegen Ingestionen kontaktiert. Am häufigsten waren die Einnahme von Medikamenten, Wasch- und Putzmitteln, Lampenölen und Pflanzenteilen. Typischerweise waren es neugierig „naschende“ Kleinkinder – der Tatort zumeist die Küche. Oft schlucken Kinder auch die stark alkalischen, mehrfarbigen Geschirrspülertabs oder trinken Säuren und Laugen aus ungesicherten Behältnissen. Die Folgen sind Verätzungen der Speiseröhre unterschiedlicher Ausprägung. In manchen Fällen kann trotz adäquater medikamentöser Behandlung und Bougierungsbehandlung die Vernarbung der Speiseröhre nicht verhindert werden. Ausgedehnte Operationen und oftmals bleibende funktionelle Behinderungen sind die Folge. Auch das Risiko an dieser Stelle Krebs zu entwickeln ist deutlich erhöht. Bis vor kurzem war das Bild der Nagellackentferneringestion noch unbekannt. Entgegen der verbreiteten Meinung, dass Acetoningestion bis auf die Gefahr von neurologischen Symptomen harmlos sei, wurden an unserer Abteilung innerhalb kurzer Zeit drei Kinder wegen schwerer Speiseröhrenverätzung durch Nagellackentferner stationär aufgenommen und eine Zeit lang künstlich ernährt. Neurologische Symptome traten bei diesen Patienten keine auf.

Verschlucken - Ingestion 02

Verschlucken - Ingestion 03

Verschlucken - Ingestion 04

Verschlucken - Ingestion 05

Verschlucken - Ingestion 06


Seit 1994 sind Spitalsärzte zur Bekanntgabe von Vergiftungsfällen mit chemischen Produkten verpflichtet. Das auf diese Weise erhaltene Datenmaterial ermöglicht gezielte Maßnahmen zur Unfallverhütung. U.a. wurde von der EU-Komission auf drängen Österreichs ein Verbot von gefärbten und parfümierten Lampenölen erlassen. Weiters sollen groß angelegte Aufklärungskampagnen das öffentliche Bewusstsein über die Ingestionsgefahren erhöhen. Weder Geld noch die harmlos erscheinenden Knopfbatterien sind geeignete Spielzeuge für Kleinkinder. Knopfbatterien sollten vom Hersteller kindersicher verpackt werden, mit einer klaren Auflistung aller Batterieinhaltsstoffe, sowie eine aufgedruckte Warnung vor Ingestion versehen werden. Ähnlich wäre auch die Nagellackentferner ein kindersicherer Verschluss und eine schriftliche Warnung vor Ingestion wünschenswert. Bei Reinigungsmitteln sind generell kindersichere Verschlüsse zu fordern. Der Aufbewahrungsort für Medikamente und gefährlichen Substanzen sollte für Kinder unerreichbar, am besten versperrt, sein. Die Abfüllung von ätzenden oder giftigen Lösungen in Getränkeflaschen oder andere ungekennzeichnete oder ungesicherte Behältnisse, ist wegen der großen Verwechslungsgefahr extrem gefährlich (!).

Gefährliche Ingestionen bei Kleinkindern
(Vergiftungs Informations Zentrale 01-4064343 / Stand 2004)

Häufige Vergiftungen:

  • Paracetamol (Mexalen®): ab150mg/kgKG
  • Acetylsalicylsäure(Aspirin®): ab 150 mg/kgKG
  • Mefenaminsäure (Parkemed®): ab 50mg/kgKG
  • Nikotin: Tee aus Tabak hochtoxisch
  • Flouride: <10mg/kgKG orale Calciumgabe(z.B.Milch); >10mg/kgKG
    Hospitalisierung parent.Calciumgabe

Besondere Gefahren für Kleinkinder:

  • Kampfer: >100mg/kgKG (1TL) potentiell tödliche Dosis
  • Chloroquin (Resochin®): 20mg/kgKG (1Tbl.)für Kleinkinder tödlich
  • Imipramin (Tofranil®): 15mg/kgKG (1Tbl.)potentiell tödliche Dosis
  • Chinin (Limptar®): 80mg/kgKG (3-4Tbl.) potentiell tödliche Dosis
  • Theophyllin (Unifyl®): 15mg/kgKG (1Tbl.) potentiell tödliche Dosis
  • Thioridazin (Melleril®): 15mg/kgKG (1Tbl.) potentiell tödliche Dosis
  • Chlorpromazin (Largactil®): 25mg/kgKG (3Tbl.) potentiell tödliche Dosis
  • Codein: 15mg/kgKG (6Tbl.)potentiell tödliche Dosis
  • Dimenhydrinat (Vertirosan®): 25mg/kgKG (5Tbl.) potentiell tödliche Dosis
  • Diphenhydramin (Dibondrin®): 25mg/kgKG (5Tbl.) potentiell tödliche Dosis

Weitere Problemsubstanzen: Eisen, Methadon, Herzmittel (Digitalis, Antiarrythmika), Bluthochdruckmittel, Propoxyphen

Ätzend: Industriereiniger, Backrohr u.-Grillreiniger, Abflussreiniger, Essigessenz

Duftpetroleum: >60% der Fälle pulmonale Symptome – Lungenfunktionsstörung - Lebensgefahr

Verschlucken - Ingestion 07


Schwere Verätzungen
, vor allem durch Laugen können zu erheblichen Zerstörungen der Speiseröhre führen. Die Folge sind ausgedehnte Vernarbungen, die schrumpfen und zu sogenannten Speiseröhrenstrikturen führen. Die Folge ist, dass die Speiseröhre wie ein starres – deutlich verengtes Rohr vorliegt. Wenn Dehnungen (Bougierungen) kombiniert mit einer Cortisontherapie innerhalb eines Jahres nicht zu einer Verbesserung führen muss die Engstelle operativ entfernt werden. In bestimmten Fällen, d.h. bei längerstreckigen Engstellen wird beispielsweise der Magen in den Brustkorb verlagert und damit der Defekt überwunden.

Verschlucken - Ingestion 08


Das Kind wurde erfolgreich durch einen „Magenhochzug“ behandelt und man sieht am verschluckten Kontrastmittel die problemlose Passage in den Eingeweidetrakt. Die oberen – gesunden – Anteile der Speiseröhre wurden erhalten.

KidsDoc-AdDoc.at
Diese Seite weiterempfehlen:
Bitte beachten Sie: Der Inhalt dieser Seite dient lediglich der Information und ersetzt NICHT DEN ARZTBESUCH!
VIRTUELLE - INTERAKTIVE ORDINATION
Health Service Center / Wiener Privatklinik

Prim. Univ. Prof. Dr. Drhc Alexander Rokitansky
Impressum   |   Datenschutz   |   Cookie-Einstellungen   |   Website by berghWerk New Media